Evang.-ref. Kirchegemeinde Veltheim-Oberflachs
Gottesdienst am 22. Oktober 2006
Lesung: 1. Korinther 7,1-16.32-34; Predigt: Matthäus 19,1-12
Über Ehe, Ehescheidung und Ehelosigkeit
Liebe Gemeinde
Woran denken wir spontan beim Stichwort ‚Moses und das Gesetz’? Viel-
leicht: strenge Forderungen, Gebot und Verbot, alttestamentliche Gesetzlich-
keit.
Und was geht uns durch den Kopf beim Stichwort ‚Jesus und das Evangeli-
um’? Vermutlich: weniger Strenge, Vergebung und barmherzige Weite.
So sind wir es uns doch gewohnt, so stellen wir uns den Unterschied von Ju-
dentum und Christentum vor, den Unterschied von Gesetz und Evangelium, von
Altem und Neuem Testament. Aber in unserem Abschnitt aus dem Matthäus-
Evang. ist es genau umgekehrt! Im strengen alttestamentlichen Gesetz war E-
hescheidung möglich. Wussten Sie das?
In 5. Mose Kapitel 24 steht:
Wenn jemand eine Frau zur Ehe nimmt und sie nicht Gnade findet vor seinen Augen, weil
er etwas Schändliches an ihr gefunden hat, und er einen Scheidebrief schreibt und ihr in
die Hand gibt und sie aus seinem Hause entlässt...
Die Scheidung wird da bei Mose zwar nicht direkt gerechtfertigt oder propa-
giert, aber die Scheidung und die praktische Umsetzung mit dem Scheidebrief
wird auch nicht bekämpft. Sie ist erlaubt und Gang und Gäbe.
So einfach war das also – natürlich nur für den Mann! Schnell einen Scheide-
brief aufsetzen, der Frau in die Hand drücken und tschüss, die Frau aus dem
Haus entlassen.
Die Scheidung hatte also Moses, dieser grosse Gottesmann, erlaubt. Er passte
das Gesetz der Realität an.
Dies ist auch noch der Ist-Zustand zur Zeit Jesu. Der Mann kann sich von sei-
ner Frau trennen, wenn sie ihm nicht mehr passt. Es ist nur umstritten, ob man
sich von der Frau scheiden lassen kann, wenn sie schon nur das Essen an-
brennt oder ob man der Frau den Laufpass bzw. Scheidebrief erst dann geben
darf, wenn sie fremd gegangen ist und die Ehe gebrochen hat.
Es war ein einseitiges Gesetz: nur der Mann kann einen Scheidebrief schrei-
ben und die Ehefrau in die Wüste schicken. Als Menschen einer christlich ge-
prägten Kultur finden wir dies ungerecht. Es hatte aber mit der damaligen
Handhabung zu tun: Die Frau kommt von der Obhut und der Familie des Vaters
ins Haus und den Besitzstand des Ehemannes. Es gibt eine Übergabe vom Va-
ter an den Schwiegersohn.
Diese Handhabung der Brautübergabe lebt heute noch im Hochzeitsbrauch
weiter, bei dem der Vater mit der Braut am Arm à la Hollywood in die Kirche
einzieht. Vorne in der Kirche wartet der Bräutigam nervös und kaut Fingernägel
bis er sein neuen ‚Besitz’ in Empfang nehmen kann. Weil die Frau zum Haus-
stand des Mannes gehört, kann darum auch nur der Mann einen Scheidebrief
ausstellen.
Nicht eine einseitige, sondern eine gegenseitige, gemeinsame Ehebeziehung
drückt sich im gemeinsamen (Kirchen-)einzug des Brautpaares aus. Aber,
der Pfarrer geht dem Brautpaar voraus, als Zeichen dafür, dass die Ehe nicht
einfach nur eine zwischenmenschliche Abmachung ist, sondern, dass sie von
Gott eingesetzt ist und somit heilig und unantastbar.
Jesus zitiert in unserem Predigttext, aus den ersten beiden Kapiteln der Bibel:
„Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen,
und die zwei werden ein Fleisch sein.“ Er sagt mit diesen Zitaten, dass die Ehe
zwischen Mann und Frau der Wille von Gott, dem Schöpfer ist und eigentlich
der Mensch nicht selber darüber verfügen darf. Wenn aber nur der Wille des
Menschen die Grundlage der Ehe ist und die Ehe so zum reinen, trockenen, ju-
ristischen Ehevertrag degradiert wird, dann darf der Mann über die Ehe verfü-
gen und die Frau entlassen.
Die Pharisäer fragen jetzt also Jesus: Darf der Mann sich aus irgendeinem
Grund von seiner Frau scheiden? Entspricht dies tatsächlich dem Willen Gottes?
Liebe Gemeinde, was denken wir in dieser Frage? In unserer Gesellschaft geht
jede 3. Ehe wieder auseinander, wenn man überhaupt noch heiratet. Und
manchmal gibt es ja wirklich Ehen, bei denen einem schon der Gedanke
kommt: Es ist barmherziger, wenn sie auseinander gehen, als dass sie zusam-
menbleiben. Und dementsprechend machen wir dann unsere staatlichen Geset-
ze – von dem her, was nach unserem Urteil möglich oder eben nicht möglich
ist, zumutbar oder nicht zumutbar. Massstab ist der Mensch in seinem Vermö-
gen oder Unvermögen.
So war es auch bei Moses: „Er hat Rücksicht genommen auf eure Hartherzig-
keit.“ Wegen dieser menschliche Realität von der Hartherzigkeit ist es möglich
zu scheiden.
Jesus gibt sich aber nicht zufrieden mit der gegenwärtigen Realität.
Er beruft sich auf den guten Plan Gottes mit uns Menschen, der ganz am An-
fang der Bibel steht. Sein Willen, das, was Gott für den Menschen möchte, ist
der Massstab von Jesus. Das ist auch für die Frau viel gerechter. Die Frau ist
besser geschützt vor der Willkür ihres Mannes. Scheidung soll für Jesus nur
noch im Ausnahmefall möglich sein. Jesus betont die einmalige Einheit der
Ehe: man teilt mit dem andern das Bett, den Tisch, das Portemonnaie, Krank-
heit und Lust, Erfolg und Niederlage, Freude und Trauer. All dies hat man ge-
meinsam durchzustehen. Man ist ein Fleisch. Das beinhaltet natürlich auch die
Sexualität. Gerade die Sexualität, die in der Kirche lange Zeit gegen die Bibel
schlecht gemacht worden ist. Dabei ist das allererste, was Gott zu Mann und
Frau in der Bibel sagt: Habt Sex miteinander! „Seid fruchtbar und mehret
euch!“
Jesus will die Frau und die einmalige, auch sexuelle Einheit der Ehe schützen.
Darum verschärft er die Gesetzgebung des Mose: Scheidung ist grundsätzlich
nicht der Willen Gottes: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der
Mensch nicht scheiden.“
Aber Jesus macht da keine moralischen Ausführungen. Er lässt einfach die
Fakten sprechen: Scheidung und neue Partnerschaft hat zur Folge, dass das
eine Fleisch der ersten Ehe gebrochen wird. Jesus sagt nicht: „Wie unmoralisch!
Das ist völlig daneben!“ Er kennt ja schliesslich den Menschen. Er sagt auch
nicht: „Das darfst du nicht!“ Vielleicht wollten die Pharisäer eine solche Antwort hören. Er sagt ‚nur’ in aller Klarheit: dies entspricht nicht dem Schöpferwillen
Gottes. Nach Gottes Willen soll das nicht sein, Ehescheidung. Weil Gott ande-
res vor hat mit dem Menschen, mit einer Ehe: Grösseres, Schöneres, tiefe Le-
benserfüllung. Gottes Wille ist immer unser Leben, ein Leben in Frieden und
Freiheit.
So wie Jesus sollen auch wir keine Geschiedenen verurteilen – es kann nämlich
jeden treffen. Niemand hat die Garantie dafür, dass die Ehe hält. Wir sollen
vielmehr dankbar sein für unseren Ehepartner. Für all das, was er mit uns ge-
teilt hat im Leben.
Obwohl Jesus grundsätzlich sagt: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll
der Mensch nicht scheiden“, malt er nicht einfach schwarz-weiss, sondern
macht noch eine Unterscheidung: auch er nennt einen möglichen Schei-
dungsgrund – den Ehebruch, das Fremdgehen. Das kann eine Ehe so stark
erschüttern, dass eine Scheidung ein möglicher, letzter Ausweg ist. Da wo die
intimste Einheit des einen Fleisches zerstört worden ist, wird die Ehebeziehung
in ihrem Fundament in Frage gestellt.
Wie wir schon in der Lesung aus dem 1. Korinther-Brief gehört haben, ist
Scheidung in bestimmten Fällen möglich, aber nur als letzter Ausweg. Sie ist
für Jesus überhaupt nicht obligatorisch bei jedem Fremdgehen – Versöhnung
und Vergebung sollen wir Menschen in erster Linie anstreben. Darum steht
dieser Text aus Matthäus 19 gerade nach dem Gleichnis vom ‚Schalksknecht’
und dem barmherzigen König, der Gnade vor Recht hat walten lassen. Jesus
möchte also in erste Linie nicht Hartherzigkeit, sondern Barmherzigkeit, eine
Aussöhnung zwischen den Ehepartnern, nicht eine Verhöhnung vor dem Schei-
dungsrichter, weil dies ja immer beiden Seiten schadet. Meistens wird heute zu
früh geschieden, der andere und sich selber zu früh aufgegeben.
Liebe Gemeinde
So wie Gott barmherzig ist und vergibt, so sollen auch wir Menschen barmher-
zig sein und vergeben. Mit seiner Hilfe und Liebe kann dies möglich sein.
Dies war auch bei einem Fischer der Fall, der von seiner Frau betrogen wurde.
In einem Fischerdorf ist es ungeschriebenes Gesetz, daß eine Frau, die beim
Ehebruch ertappt wird, von einem hohen Felsen gestürzt wird. Wieder einmal
haben die Ältesten des Dorfes eine Frau verurteilt, die mit einem Matrosen die
Ehe gebrochen hat. Doch in der Nacht steigt der betrogene Ehemann in die
Felswand und spannt ein Netz aus starken Seilen über den Abgrund. Mit Gras,
Stroh und Kissen stopft er das Fangnetz aus. Am anderen Morgen wird das Ur-
teil vollstreckt. Aber die Frau stürzt in das Netz der Vergebung ihres Mannes. In
ihrer Unentschlossenheit rufen die Dorfbewohner die Markgräfin, die der Frau
ihr eigenes Haarnetz schenkt zum Zeichen dafür, daß die Liebe vom Fischer
ihre Schuld aufgefangen hat.
Nicht Hartherzigkeit, Verurteilung und Scheidung soll bei uns Menschen das
letzte Wort haben, sondern Barmherzigkeit und Vergebung. Weil auch der
himmlische König uns immer wieder unser Schuld erlässt und uns vergibt.
Die Vergebung und Barmherzigkeit heben diese Worte von Jesus zur Eheschei-
dung jetzt aber nicht auf.
Uns Menschen zu liebe kritisiert Jesus die laxe Scheidungspraxis damals und
heute. Weil er genau weiss, „Scheiden tut weh“, Ehepartner und Kinder lei-
den unter einer Scheidung, es beeinträchtigt unsere Lebensqualität.
Ein geschiedener Mann mit drei Kinder sagt: „Eine Scheidung ist eine Beerdi-
gung, die nie aufhört.“ Und der Psychologe Klaus Heer stellt fest: „Scheidung
ist neben Tod und Krankheit sicher das schlimmste Debakel in der Biographie
eines Menschen.“
Eine Scheidung ist eine Zer-Fleischung des einen Fleisches.
Die Ehepartner leiden im Durchschnitt noch mehr als 10 Jahre später darunter.
Die Sterbequote von geschiedenen Männern ist doppelt so hoch, wie bei ver-
heirateten Männern.
Solche Aussagen und Untersuchungen liest man selten in der Zeitung, weil sie
nicht ins Bild der modernen Gesellschaft passen. Darum verschweigt man die
Wahrheit lieber.
Gerade auch die Kinder leiden enorm unter einer Scheidung. Kinder von Patch-
work-Familien haben durchschnittlich mehr Probleme sich in der Schule zu kon-
zentrieren und zu lernen, haben mehr Depressionen und sind häufiger krank als
andere Kinder.
Vor 50 Jahren hatten die Eltern häufig viele Kinder. Heute haben die Kinder
häufig viele Eltern.
Es geht mir nicht darum Geschiedene zu diskriminieren, sondern einfach darum
Fakten zu nennen, um die ziemlich rigorose Haltung von Jesus besser zu ver-
stehen. Uns Menschen zu liebe kritisiert Jesus die laxe Scheidungspraxis. Weil
er genau weiss, „Scheiden tut weh“.
Bei Jesus ist aber auch Heilung von verletzten Wunden möglich. Er möchte auf
dem Weg des Heilungsprozesses mitgehen, mittragen und heilend eingriffen.
„Heile du mich, Herr, so werde ich heil. Hilf du mir, so ist mir geholfen.“ (Jere-
mia 17,14)
Jesus redet aber nicht nur davon, dass es in der Ehe Verletzungen gibt, son-
dern dass Menschen auch darunter leiden, weil sie zur Ehe unfähig sind –
entweder von Geburt an, wegen einer Krankheit oder weil ihnen dieser Weg
von andern Menschen versperrt worden ist, weil z.B. zu wenig Geld zum Hei-
raten da war, oder der Älteste prinzipiell ins Kloster musste oder weil man zum
Eunuch gemacht worden ist. Es gibt auch viele Menschen, die sich sehr nach
einem Ehepartner sehnen und einfach niemanden finden. Gerade heute wo es
so viele Single-Haushalte gibt, wegen den meistens zu hohen Erwartungen an
einen Ehepartner.
Und dann gibt’s auch noch Menschen, die von Gott in die Ehelosigkeit geführt
werden.
Das Ledig sein hat nämlich seine grossen Vorzüge und wird im Neuen Testa-
ment am höchsten geachtet: Man hat die Zeit, ganz dem Herrn zu dienen, ganz
für das Reich Gottes da zu sein. Es ist keine Familie da, die Zeit und Kraft in
Anspruch nimmt.
Wer aber verheiratet ist, sagt Paulus, solle sich um die irdischen Sachen küm-
mern, z.B. die Mode, damit er dem Ehepartner gefällt.
Es muss niemand unnötige Schuldgefühle haben, egal ob ledig, verheiratet o-
der verwitwet, jeder kann Gott mit seinen Gaben, Kräften und Möglichkeiten
dienen. Gott kann jeden Zivilstand zu seiner Ehre gebrauchen.
Amen.
Gottesdienst Lebenszyklus Erwachsene Jugend Kontakte